„Naturtöne sind genau meins!“

Diese Aussage habe ich im Vorgespräch auch schon von Kund*innen gehört, die im Laufe der Farbberatung in dunklen, kräftigen Tönen wie Smaragd und Magenta förmlich anfingen zu leuchten. Alles Helle und weniger Intensive (wie zum Beispiel Naturtöne) ließen sie im Vergleich dazu äußerst blass und wenig präsent erscheinen.

„Ich liebe große, geometrische Statement-Ketten, die sind ganz mein Stil!“

Sprach die Kundin, die sich am Ende der Stilentwicklung als hauchzart-romantischer Typ entpuppte. In der Beratung kristallisierte sich nämlich heraus, dass alles Große, egal ob große Muster, ein stark strukturiertes Material oder ein etwas größer dimensioniertes Schmuckstück die einzigartige Schönheit dieser Person nicht aufgreifen und unterstützen konnte. Wirklich gefeiert wurde das individuelle Stilthema hingegen durch duftige, hauchzarte Materialien, kleine, verspielte Muster in geringer Dosis – und eben sehr zarten, romantisch anmutenden Schmuck. Zarte Blütenformen, Schmetterlinge und Vögel an sehr dünnen Kettchen brachten die elfenhafte Ausstrahlung der Trägerin ganz zauberhaft zur Geltung.

Wie können solche im Zuge der Farb- oder Stilberatung offensichtlich werdenden Fehleinschätzungen, die Menschen über Jahre in Bezug auf „Ihre Farben“ oder „Ihren Stil“ haben, überhaupt passieren, wenn man jemand ist, der sich für sich selbst und das Thema Mode interessiert?

Eine eindeutige, generell zutreffende Antwort auf diese Frage kann ich selbstverständlich nicht geben. In meinem eigenen Denken über Stil und Geschmack gab es allerdings ein grundlegendes Missverständnis, das mich selbst 30 Jahre meines Lebens farb- und stiltechnisch eine wenig vielversprechende Fährte verfolgen ließ, und das ich hier gern teilen möchte. Vielleicht finden sich einige Leser*innen ja darin wieder.

Lange Zeit hatte ich hennarote, lange Haare und trug Kleidungsstücke in Erd- und Gewürztönen, die ich heute am ehesten den Stilthemen „Natürlich“ und „Hippie“ zuordnen würde.

Gegen all das ist generell gar nichts einzuwenden. Es gibt Menschen, denen gelbgrundige Farben stehen. Es gibt Menschen, die in natürlichen Materialien oder in den typischen Kleidungsstücken des Hippie-Stilthemas wundervoll aussehen. Diese Farben und diesen Stil zu tragen war nur wirklich überhaupt keine erfolgreiche Strategie, um MICH ins Strahlen zu bringen.

Den wichtigsten Grund für meine oben beschriebenen (aus meiner jetzigen Perspektive wirklich wenig erfreulichen) Farb- und Stilentscheidungen kann ich aus heutiger Sicht klar benennen:

Ich habe „Stil“ mit „Geschmack“ verwechselt.

Das mag daran gelegen haben, dass mir der Unterschied zwischen diesen beiden Konzepten überhaupt nicht klar war.

Bei der Wahl meiner Kleidung bin ich nicht davon ausgegangen, was ich selbst an Eigenfarben, Eigenmaterialien-, -strukturen, und -formen mitbringe; nicht davon, was ich als individueller Mensch ausstrahle. Dies alles sind jedoch Fragen, die sehr hilfreich sind, wenn man den eigenen STIL finden möchte.

Ich hingegen habe damals meine Kleidung hinsichtlich Farbe, Material, Muster und Aussage danach ausgewählt, was mir an anderen Menschen gefiel oder gar an im Schaufenster oder in Katalogen ohne jegliche Referenz zu einer lebendigen Person „zusammendekorierten“ Ensembles meinen GESCHMACK traf. Außerdem war Kleidung im Hippie-Stil und in warmen Farbtönen für mich damals die naheliegendste Möglichkeit, Lebensfreude auszudrücken und meine Individualität zu feiern.

Die von mir gewählten Farben und die einzelnen Kleidungsstücke und Accessoires passten auch damals wunderbar zueinander und gaben – ganz für sich betrachtet – in sich stimmige Outfits ab. Diese Outfits passten nur nicht zu MIR, denn sie entsprachen zwar meinem Geschmack, nicht aber meinem Stilprofil.

Als ich nach den Beratungen, die ich während meiner Ausbildung bei ImagoBerlin selbst auch genießen durfte, Klarheit über mein Farb- und Stilthema gewonnen hatte, passierte dann das, was ich nun schon viele Male bei meinen Kolleginnen in der Beraterinnen-Ausbildung und meinen eigenen Kund*innen erlebt habe:

Wenn Menschen sich im Spiegel einmal in ihren besten Farben sowie den Materialien und Mustern ihres tatsächlichen Stilthemas gesehen haben, wenn sich ihnen offenbart, wie schön sie in ihrer Einzigartigkeit sind und wie eindrucksvoll sie ihr inneres Strahlen durch ihr ureigenes Farb- und Stilprofil nach außen bringen können, verändert sich der Geschmack was die eigene Kleidung angeht.

Sobald Menschen im geschützten Raum der Beratung erleben, was für sie in puncto Ausstrahlung und Selbstausdruck möglich ist, ist es für die allermeisten gar keine Frage mehr, dass sie es von nun an genießen, Kleidung in ihren besten Farben und ihrer persönlichen Stilrezeptur zu tragen. Man könnte also sagen, es ist sehr oft zu beobachten, dass der persönliche Geschmack einer Person ihrem individuellen Stil „folgt“, wenn sie diesen erst einmal kennt.

Und wenn man an bestimmten Farben wirklich sehr hängt? Es gibt viele andere Wege, sie sich ins Leben zu holen. Ich zum Beispiel mag immer noch Erd- und Gewürztöne – diese Vorliebe lebe ich heute allerdings nicht mehr über meinen Kleidungsstil aus, sondern über die Farben meiner Wohnungseinrichtung.

Auch der Ausdruck meiner Lebensfreude und Individualität über meine Kleidung ist mir natürlich weiterhin sehr wichtig – wer in meinem Schrank nach Vintage-Stücken aus den 60ern sucht, wird allerdings schnell merken, dass er dort im falschen Universum ist. Der naheliegendste Weg zum freudvollen und authentischen Selbstausdruck ist für mich heute das Tragen meiner ureigenen Farb- und Stilrezeptur, die wirklich so gar nichts mit Woodstock, dafür aber viel mit dem Zusammenspiel von Purismus und Futurismus zu tun hat.

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